Aktuelle Entwicklungen beim Konfliktmanagement in der Wirtschaft
28.11.2016
ADR hat bei den deutschen Wirtschaftsunternehmen zwar keinen Umsturz, aber doch ein verbreitetes Umdenken ausgelöst. Eine aufschlussreiche Analyse dieser Entwicklung und wertvolle Zukunftsimpulse vermittelte die 5. Konfliktmanagement-Tagung der Bucerius Law School in Hamburg.
Zu Beginn stellten Ulla Gläßer, Michael Hammes und Lars Kirchhoff den Abschlussbericht eines zehnjährigen Forschungsvorhabens vor, mit dem untersucht worden war, wie deutsche Wirtschaftsunternehmen mit Konflikten umgehen, welche Faktoren für dieses Verhalten ausschlaggebend sind und welche Lehren sich für die Zukunft daraus ziehen lassen.
Der erste Bericht der Forschungsgruppe aus dem Jahr 2005 hatte als Ergebnis einer Umfrage festgestellt, dass die deutschen Unternehmen bei Konflikten zumeist den Weg gehen, den sie am schlechtesten bewerten, nämlich den vor Gericht oder Schiedsgericht, während Mediation zwar die besten Noten erhielt, aber am wenigsten genutzt wurde. „Die Unternehmer tun nicht, was sie wollen, und wollen nicht, was sie tun“ hieß es damals. In einer Folgestudie von 2007 waren als Gründe hierfür mangelnde Vertrautheit mit ADR und das Fehlen geeigneter Organisations- und Konfliktmanagementstrukturen in den Unternehmen ermittelt worden.
Der Abschlussbericht meldet nunmehr, dass sich die Bewertung der Verfahren nicht signifikant geändert hat: Nach wie vor werden Mediation, Schlichtung und Schiedsgutachten höhere Vorteilswerte beigemessen als dem Gerichtsverfahren. Bei der Einsatzhäufigkeit hat sich jedoch eine leichte Verschiebung ergeben. Die ADR-Verfahren haben etwas zugelegt, am stärksten die Schlichtung. Die Diskrepanz zwischen Wollen und Tun sei damit zwar etwas kleiner geworden, bestehe aber weiter, resümierte Hammes bei der Vorstellung des Berichts. Defizite sah er vor allem bei den kleineren und mittleren Unternehmen, eine zunehmende Nutzung von Mediation war insbesondere bei Arbeitsplatzkonflikten feststellbar.
Ein aufschlussreiches Bild vom Konfliktmanagement in der Wirtschaft bot neben Schilderungen von Referenten aus Wirtschaft und Anwaltschaft Francesca Mazza von der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS). Sie berichtete, dass die von der DIS seit 2010 angebotenen ADR-Verfahren im Vergleich zum Schiedsgerichtsverfahren nur sehr wenig genutzt werden; von dem innovativen Konfliktklärungsverfahren sei nur ein einziges Mal – und das erfolglos – Gebrauch gemacht worden. Während bei der Entscheidung für ein Schiedsverfahren oftmals unmittelbarer Handlungsdruck und gewisse Automatismen bestünden, bedürfe es bei der Inanspruchnahme von ADR bewusster Entscheidungen, für die die notwendigen Kenntnisse und die geeigneten Promotoren fehlten. Wichtig wäre mehr Konfliktberatung statt Konfliktbegleitung.
Detlef Haß berichtete aus anwaltlicher Erfahrung, dass Eskalationsklauseln, bei denen Mediation vorgegeben wird, sich häufig nicht als vorteilhaft erweisen. Mediation sei kein Allheilmittel, eine Änderung der Verfahrensabsprache häufig ratsam. Von Vorteil sei es jedenfalls, die Parteien erst einmal auf den Weg der ADR zu bringen.
In dieselbe Richtung zielte Jürgen Klowait mit seinem Vortrag zum Nutzen von Corporate Pledges. Bei derartigen Erklärungen gehe es nicht darum, sich für den Konfliktfall zu einem bestimmten ADR-Verfahren zu verpflichten, sondern um das Bekenntnis zu einem professionellen Konfliktverhalten: B2B-Konflikte mit dem Verfahren beilegen zu wollen, welches sich nach aktiver und ergebnisoffener Prüfung im konkreten Fall als bestgeeignet erweise.
Für ein Aufbrechen hergebrachter Strukturen sprach sich Stephan Breidenbach in seinem Vortrag zur Zukunft der Dispute Resolution aus. In den Unternehmen müssten sich die Führungsformen grundlegend ändern. Die steigenden Anforderungen an die Entscheidungsfindung seien über hierarchische Strukturen nicht mehr zu bewältigen; Führungskräfte müssten über die Fähigkeit verfügen, komplexe Fragestellungen rasch und zukunftsorientiert zu bewältigen. Auch bei der Konfliktbearbeitung führe die zunehmende Komplexität der Fälle dazu, dass sie durch einfache Entscheidungen oder bloße Interessenermittlungen nicht mehr gelöst werden können. Nötig sei eine Standardisierung der Konfliktbearbeitung mit einem breiten Spektrum und auf hohem Qualitätsniveau. Der Blick sei vor allem auf Konfliktvermeidung und -begrenzung zu richten, z.B. bei der Vertragsgestaltung, der Dokumentation von Geschäftsabläufen, bei der Kundenbetreuung, durch Ausbau von Online-Vermittlungsverfahren, Early Neutral Evaluation, unverbindlichen Schiedsgutachten und abgekürzten Schiedsverfahren.
Nadja Alexander ergänzte diese Ausführungen um eine globale, besonders durch die Erfahrungen in Asien geprägte Sichtweise. Demnach kommt es bei der Konfliktbearbeitung vor allem auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an. An die Stelle einer festgefügten Mediationsdogmatik müsse die Offenheit für einzelfallbezogene, auch experimentierfreudige ADR-Formen treten, die auch evaluative und direktive sowie kombinierte Angebote umfasse. Als Beispiele nannte sie die Verbindung von Mediation mit Konfliktcoaching und den Einbau mediativer Elemente in das Schiedsverfahren.
Untermauert wurde der reiche Ertrag dieser Vorträge durch Arbeitsforen zu den Themen Verhandeln, Verfahrenswahl, Führung und Organisationsentwicklung.
Auch wenn der Kongress als Abschlussveranstaltung zu dem eingangs erwähnten Forschungsprojekt definiert war, hinterließ er bei den mit vielfältigen Inspirationen bedienten Teilnehmern den Eindruck, dass die Konfliktkultur in Deutschland ganz am Anfang einer grundlegenden Erneuerung steht und dass bis dorthin noch viele Denkmuster – in den Unternehmen, der Anwaltschaft, aber auch bei den ADR-Anbietern – durchbrochen werden müssen. An Ideen scheint jedenfalls kein Mangel zu herrschen.
Prof. Dr. Reinhard Greger